Jeremias Gotthelf

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Dieser Text war im Migros Magazin in der Woche 13 2004 abgedruckt.

Jeremias Gotthelf - 150 Jahre später

Am 4. April beginnt das Gedenkjahr zum 150.Todestag von Jeremias Gotthelf. Ein Streifzug durch das Emmental des sprachgewaltigen Dichters.

Hüüüüü!», gebietet Barbara, und steigt vom Planwagen. Die Haflingerpferde Strelitz und Strolch gehorchen - «äs si guetmüetigi», sagt die Kutscherin. Die beiden Hengste gehören zum Haflingerzentrum Trachselwald. Im kommenden Sommer werden sie und weitere Pferde des Zentrums Gelegenheit haben, anreisenden Leuten das Emmental näher zu bringen. Jene Gegend, in der Jeremias Gotthelf wirkte.

«Ist dies nicht eine wunderschöne Umgebung, mit all diesen Höfen?», fragt Peter Zimmermann vom Haflingerzentrum und meint: «Ihr solltet mal im Sommer kommen.»

Heimat für viele und vieles

Das Emmental: eine liebliche, sanft modellierte Landschaft, die aussieht, als wären der Natur die Felsen ausgegangen. Ein Land mit langer Tradition, Hort helvetischen Brauchtums. Hier schützen gewaltige Dächer die Häuser vor der bösen Welt. Häuser, in denen genügend Platz ist für eine Grossfamilie und ganz oben auch für das Gesinde - für Knechte und Mägde.

Heutzutage bleiben die Läden der obersten Fenster vielfach geschlossen. Weil die Bauern dank Traktoren, Mähdreschern und dergleichen keine Knechte mehr brauchen und die Bäuerinnen statt der geschickten Magd praktische Haushaltmaschinen beschäftigen.

Das Emmental: Nirgends ist die Schweiz schweizerischer und bäuerlicher: Ballenberg im Grossen, XX-large! Hier ist die Heimat von Anne-Bäbi Jowäger und Ueli dem Knecht, und die Heimat vieler Lieder wie dem «Trueberbueb», «Ämmital» und «Luegid vo Bärg u Tal». Hier gibt es auch niedliche Flurnamen. Die Weiler heissen «Lueg», «Sonnhalde», «Rüedisbach».

Auf den Spuren Gotthelfs

Stiefmütterchen und Osterglocken blühen vor den Häusern. Bald entfalten die Apfelbäume ihren Blust. Wir sind mit Pferd und Wagen auf den Spuren von Jeremias Gotthelf - in Lützelflüh, 4000 Einwohner. Am Bahnhof erinnert ein rostiger Sensemann die Menschen daran, dass ihr Leben endlich ist.

Um 11 Uhr hallen die Kirchenglocken ins Land. In der spätgotischen Kirche von 1505 ist noch vieles so, wie es der Pfarrer Albert Bitzius, der spätere Jeremias Gotthelf, am 1.Januar 1831 bei seinem ersten Besuch vorgefunden hatte: die Orgel (1785), die Sanduhr, die Kanzel (1640).

Von der Kanzel hinunter hat Bitzius alias Gotthelf seinen Schäfchen ins Gewissen geredet - verstanden hat man ihn nicht sehr gut. Wegen eines Kropfs, den er mit einer Halsbinde kaschierte, hatte er einen Sprachfehler. Er konnte das R nicht aussprechen. Wenn die Sanduhr für die Predigt abgelaufen war, drehte er sie gleich wieder um und schleuderte den Männern entgegen: «Im Ochsen begnügt ihr euch auch nicht mit einem Glas!»

Die Original-Schauplätze

Auf der Spurensuche nach Jeremias Gotthelf führt Verena Hofer vom Verein Gotthelfstube mit viel Begeisterung und Sachwissen interessierte Gruppen an die Schauplätze. Buchen Sie Frau Hofer, es lohnt sich! Sie hält keine langweiligen Reden, sondern vermittelt interessantes Wissen über Leben und Werk des grossen Dichters.

Jeremias Gotthelfs Liegenschaft bei der Kirche darf sich auch heute noch sehen lassen: Ein stattliches Pfarrhaus mit neun Zimmern, der ehemalige Stall, der nun als Sitzungsraum und Büro dient, das Waschhaus, der Speicher, in dem heute die Gotthelfstube - ein Museum - untergebracht ist. Dazu ein Umschwung von 5000 Quadratmetern samt einem Garten mit 51 verschiedenen Obstsorten.

Der Pfarrei-Nachfolger

Seit 1989 dürfen Pfarrer Stephan Bieri und dessen Frau Suzanne, die als Musikerin regelmässig die Kirchenorgel spielt, die Annehmlichkeiten des Anwesens für sich und ihre beiden Kinder in Anspruch nehmen. Zwischen Gotthelf und Bieri haben sechs Pfarrherren die Geschicke der Kirchgemeinde geleitet.

Bieri hat einen vollen Terminkalender. Neben den kirchlichen Geschäften mit 300 Hausbesuchen pro Jahr, sonntäglichen Gottesdiensten, Beerdigungen, Hochzeiten, Taufen und kirchlichem Unterricht schreibt er Kolumnen, predigt im Lokalradio, engagiert sich in kirchlichen und schulischen Institutionen. Der Pfarrer sitzt im Verwaltungsrat der örtlichen Raiffeisenbank. Und er lässt als «Obstbauer» aus seinen Äpfeln neben dem obligaten Most einen Likör brennen.

Daneben beschäftigt sich Bieri intensiv mit Gotthelf. «Er war kein pflegeleichter Mensch, eckte immer an. Viele nahmen Reissaus, wenn sie ihm begegneten», sagt er über den Pfarrer aus dem vorletzten Jahrhundert. Die Predigt zur Eröffnung des Gotthelf-Jahres hat Bieri schon geschrieben. Thema: «Die Lauheit im Christentum». Bundesrat Samuel Schmid wird ihm zuhören. Und dann wird seine Kirche wieder einmal überfüllt sein!

Gotthelfs Nachfahren

Weiter auf Gotthelfs Spuren. Der Dichter war der Ur-Urgrossvater von Bernard Dubois, einem Juris-ten im Ruhestand aus Bern. «Von uns Advokaten hielt Gotthelf nicht viel», sagt Dubois. Und: Auf den berühmten Ahnen bilde er sich nicht viel ein. Doch es gebe schon Nachfahren mit Dünkel. Es gibt nur noch eine Person, die den Namen Bitzius trägt: Hildi Bitzius. Deren Vater und Grossvater hiessen wie ihr Ur-Urgrossvater Albert. «Ich werde öfters auf meinen Namen angesprochen», sagt Hildi Bitzius.

Die Film-Drehorte

Erinnern Sie sich noch an die Szene im Film «Ueli der Pächter» aus dem Jahr 1955? Mit dieser gewaltigen Szene, als die «Glungge» versteigert wurde? Als der «Hagel-Housi» fürs Vreneli (Lilo Pulver) den Hof ersteigerte?

Diese und weitere Gotthelf-Szenen wurden im 350-jährigen Landgasthof Kreuz von Yvonne und Arthur Nyffeler-Eisenhut in Sumiswald BE gedreht. Dort soll es gutes Essen geben.

Wir machen uns auf zum Hof «Glungge». Für Nichtberner: Das Wort bedeutet «Pfütze». Der Weg dorthin ist schwer zu finden. Rund um dieses Anwesen wurden viele Szenen für «Ueli den Knecht» und «Ueli den Pächter» mit Lilo Pulver und Hannes Schmidhauser gedreht.

Walter Reinhard, den wir in der «Glungge» antreffen, war damals im letzten Schuljahr. Er führte viele Jahre den Hof in vierter Generation, hat diesen aber längst an seinen Sohn abgegeben. Die «Glungge» hat sein Urgrossvater Hans anno 1854 als Pächter übernommen: Hans, der Pächter - statt Ueli, der Pächter. Das war im selben Jahr, als Jeremias Gotthelf starb.

Carl Bieler

Mehr übers Emmental

Gotthelfstube

Verena Hofer, Telefon 034 - 461 26 20
www.luetzelflueh.ch

Haflingerzentrum

Telefon 034 - 431 10 72
www.haflingerzentrum.ch

Programm/Veranstaltungen

Pro Emmental, Telefon 034 - 402 42 52
info@emmental.ch

 

Das Emmental
Die Landschaft im 81 Kilometer langen Flussgebiet der Grossen Emme erstreckt sich von der alpennahen Zone bei Schangnau (930 m) über Eggiwil bis Burgdorf.

Das Emmental liegt eingebettet zwischen Voralpen und Jura. Fünf «Eingangstore» schaffen den Zugang zu dieser hügeligen, von Einzelhöfen geprägten Gegend.

Die Talsohlen im Emmental heissen «Schachen». Dort wachsen Auenwälder. Das gerodete emmentalische Berggebiet ist seit dem Hoch- und Spätmittelalter besiedelt.

Politisch gliedert sich das Gebiet in die vier Amtsbezirke Burgdorf, Konolfingen, Signau und Trachselwald.

Dank der zentralen Lage und dem gut ausgebauten Schienennetz ist das Emmental bequem mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar.

Quelle: Schweizer Lexikon; www.emmental.ch Infos: Pro Emmental, Schlossstrasse 3, 3550 Langnau

 

Gedenkjahr
Das Gedenkjahr zum 150.Todestag von Jeremias Gotthelf steht unter dem Motto «Auf dem Weg zum Original». Während des ganzen Jahres finden mehr als 90 Veranstaltungen wie Lesungen, Vorträge, Ausstellungen, Theater- aufführungen und Wanderungen statt. Der «Brückenbauer» präsentiert eine Auswahl der Events:

Bis November: Mit Ross und Wagen auf Gotthelfs Spuren.
Infos: Telefon 034 - 431 10 72 oder www.haflingerzentrum.ch

April bis Oktober: Begleitete Tagesausflüge (mit Znüni) zur «Glungge».
Infos: www.emmental-tours.ch

2.April bis 31.Oktober: Ausstellung «Der Bauernspiegel», Chüechlihus Langnau. Infos: Telefon 034 - 402 18 19

4.April: Offizielle Eröffnung durch Bundesrat Samuel Schmid in der Kirche Lützelflüh. Infos: www.luetzelflueh.ch

4. April bis Ende Oktober: Ausstellung in der Gotthelfstube, Lützelflüh.
Infos: Telefon 034 - 461 26 20 oder www luetzelflueh.ch

5. bis 10.April: Filmwoche, Turnhalle Grünenmatt; Open-Air-Kino, Lützelflüh.

18. April bis 31.Oktober: Ausstellung, wie die Leute zu Gotthelfs Zeiten lebten, Heimatmuseum Trubschachen. Infos: www.stiftung-hasenlehn.ch

21. und 28.April; 5., 12. und 26.Mai: Vorträge, Bern, Volkshochschule. Infos: www.vhsbe.ch

1.Mai bis 31.Oktober: Ausstellung «Die schwarze Spinne», Gasthof Bären, Sumiswald. Infos: www.baeren-sumiswald.ch

Ab 8.Mai: Markierte Wanderung von Krauchthal aus.

Ab 1.Juli: Bis 3.August jeweils Mi., Fr., Sa., Theater «Jeremias», Waldhaus bei Lützelflüh. Infos: www.theater-luetzelflueh.ch oder Telefon 034 - 411 10 40

15.August: Gotthelfpredigt mit Chor, Besucher in historischen Kleidern und Trachten, Emmentaler Schaukäserei, Affoltern i.E. Infos: Telefon 034 - 435 16 11

Veranstaltungsübersicht: www.emmental.com/gotthelf

Zum Lesen: «Auf dem Weg zum Original», ein Gotthelf-Wort für jeden Tag, h.e.p. Verlag, 9500 Wil, Fr. 19.50.

 

Biografie: Die wichtigsten Stationen im Leben des Jeremias Gotthelf

1797 Er wird am 4.Oktober als Albert Bitzius in Murten FR geboren.
1805 Sein Vater, der Pfarrer Sigmund Bitzius, dessen dritte Frau Elisabeth und Sohn Albert ziehen von Murten nach Utzenstorf BE.
1812 Der 14-jährige Albert besucht eine Berner Literaturschule.
1820 Albert Bitzius amtet als Vikar bei seinem Vater.
1821 /22: Weiterbildung an der Universität Göttingen (D), anschliessend Wanderungen durch Norddeutschland.
1824 -29: Bitzius ist Vikar in Herzogenbuchsee BE.
1829 Zwangsversetzung nach Amsoldingen BE am 3.Mai des Jahres, eine Woche später erfolgt die Beförderung an die Heiliggeistkirche in Bern.
1832 Wahl zum Pfarrer von Lützelflüh BE.
1833 Heirat mit Henriette Zeender (1805 bis 1872). Dem Paar werden in den Jahren 1834, 1835 und 1837 Kinder geboren.
1836 Mit der Veröffentlichung des «Bauernspiegels» beginnt sein dichterisches Wirken. Als bekannt wird, dass der Pfarrer von Lützelflüh der Verfasser ist, nimmt er den Namen Jeremias Gotthelf an.
1854 Im Sommer bekommt Gotthelf Besuch von seinem deutschen Verleger Julius Springer.
Am 22.Oktober stirbt Jeremias Gotthelf im Alter von 57 Jahren.

Quelle: Migros Magazin, Woche 13/2004 

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Last update: 02.04.2004/23:15